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Die Bedeutung der Supervision im Projekt WEICHENSTELLUNG

Die monatlichen Supervisionen sind ein zentraler Bestandteil von WEICHENSTELLUNG. Dabei können sich die Studierenden mit anderen Mentor:innen und der pädagogischen Leitung über ihre Erfahrungen austauschen und Feedback einholen. Sie dienen der Unterstützung der Mentor:innen in der Begleitung ihrer Mentees, um kritischen und herausfordernden Situationen zu begegnen. Mehr dazu im Interview mit Prof. Thomas Trautmann, dem pädagogischen Leiter des Projekts an der Universität Hamburg.

Warum ist die Supervision ein zentraler Bestandteil des Mentoring-Programms WEICHENSTELLUNG für Viertklässler in Hamburg?
Bei WEICHENSTELLUNG für Viertklässler geht es um die Begleitung von ausgewählten Kindern beim Übergang auf eine weiterführende Schule. Es ist eine individuelle Betreuung entlang der Bedürfnisse der Mentees. Hier kann – als Unterstützung der Studierenden, die als Mentorinnen und Mentoren im Projekt aktiv sind – die Supervision als Einzelfallbetrachtung einen wichtigen Beitrag leisten. Dabei nutzen wir das implizite pädagogische Wissen und die Erfahrung der Gruppe aus Mentorinnen und Mentoren und wenden es auf die spezifische Situation und den betreffenden Mentee an. Es geht also um die Weisheit des Kollektivs, das sich auf Augenhöhe begegnet, den Fall distanziert und aus verschiedenen Perspektiven betrachtet, gewichtet und Fragen stellt.
In der Wissenschaft heißt es, die Supervision ist im besten Fall ein haltendes System – ähnlich wie es zum Beispiel die Familie, die Schule oder der Sportverein sein können. Auch deshalb ist Supervision so wichtig für WEICHENSTELLUNG, denn unsere Mentees haben in der Regel relativ wenige haltende Systeme. Sie kommen beispielweise aus schwierigen Familienverhältnissen oder erfahren zu Hause nicht genug Unterstützung, haben gleichzeitig aber das Potenzial für einen höheren Bildungsabschluss – aufgrund genau dieses Spannungsverhältnisses sind sie ja auch WEICHENSTELLUNG-Mentees. Für die Mentorinnen und Mentoren ist es herausfordernd, mit den oft schwierigen Lebensverhältnissen der Kinder umzugehen. Diese Herausforderungen können wir im Rahmen der Supervision, in einem Umfeld von Sicherheit und Geborgenheit, gemeinsam erörtern. Die hohe Teilnehmerdichte von über 95 Prozent bei jedem Termin zeigt das Bedürfnis der Studierenden nach dieser Form der Begleitung.
Darüber hinaus sind die Supervisionen ein wichtiges Evaluationsinstrument für das Projekt. Sie helfen uns im pädagogischen Leitungsteam zu identifizieren, wo wir gegebenenfalls eingreifen oder nachsteuern sollten – sowohl im Einzelfall als auch im grundsätzlichen Profil von WEICHENSTELLUNG. Somit stellt das Element der Supervisionen auch die pädagogische Qualität des Mentorings sicher.

Wie genau funktioniert die Supervision? Was ist besonders wichtig bzw. hervorzuheben?
Es gibt regelmäßige Termine, um den Mentorinnen und Mentoren einen stabilen Rahmen zu geben. Jede Supervision folgt einer festgelegten Struktur: Es gibt eine Begrüßung und grundsätzliche Informationen aus dem Programm. Im Anschluss folgt die Fallbetrachtung. Dafür bewerten die Teilnehmende ihre aktuelle Mentoring-Situation anhand eines Ampelsystems, zum Beispiel indem sie farbige Karten ziehen: Grün heißt, „alles in Ordnung, wenn Zeit ist, könnte ich etwas Schönes berichten, aber es gibt nichts Dringendes“. Gelb bedeutet „es ist nichts Besorgniserregendes, aber ich würde jedoch gern etwas loswerden“. Und rot zeigt ganz klar „mein Fall muss behandelt werden, ich brauche Unterstützung.“ Dabei entscheidet allein das persönliche Empfinden der Mentorin bzw. des Mentors die Farbwahl, nicht die subjektive Betrachtung einer Situation. Danach besprechen wir die Fälle entlang der Dringlichkeit. Rot hat immer Vorrang.
Für das Funktionieren der Supervision sind dabei drei Dinge ausschlaggebend: Erstens die Offenheit, wirklich alles sagen zu können. Zweitens, das Gefühl der Geborgenheit, zu wissen, dass nichts nach außen dringt. Und drittens die Herausforderung anzunehmen, sich in den jeweiligen Fall hineinzudenken – auch in den zunächst fremden. Es entsteht eine bemerkenswerte Atmosphäre innerer Verbundenheit. Man weiß vorher nicht, was kommt. Aber es ist immer interessant für alle Beteiligten, denn eine heute für mich fremde Situation könnte zukünftig auch bei mir auftreten.

Was sind die zentralen Herausforderungen der Supervision?
Grundsätzlich ist die größte Herausforderung: Jeder Fall ist anders und wir wissen im Vorfeld nicht, was kommt und nach der Beratung nicht, was wirkt. Deswegen dürfen die Supervisionen auch nicht sporadisch, sondern müssen systemisch sein, um kritische Situationen und Fälle bei Bedarf nachhaltig unterstützen zu können. Besonders wertvoll ist dabei, dass zu unseren Mentorinnen und Mentoren sowohl angehende Sonder- als auch Grundschul- und Sekundarstifenpädagogen gehören. Sie alle haben jeweils sehr unterschiedliche Blickwinkel auf das Kind, die sich zum Wohle des Kindes annähern.

Was sind die Chancen der Supervision – wie profitieren die Mentor:Innen und wie die Mentees?
Grundsätzlich profitieren die Mentees bei WEICHENSTELLUNG zunächst einmal davon, eine feste Bezugsperson zu haben, auf die sie sich verlassen können. Gerade in den Transitionen zwischen Schulformen und vom Kind zum Erwachsenwerden können die Mentorinnen und Mentoren ein wesentliches haltendes System sein. Und die Supervisionen helfen dabei, dieses System zu stabilisieren und für das Kind gangbar zu machen.
Für die Mentorinnen und Mentoren hält WEICHENSTELLUNG eine Reihe von Erfahrungen bereit, die sie sonst im Studium nicht bekommen – die längerfristige Begleitung eines einzelnen Individuums in den Lebenswelten Familie und Schule ist unbezahlbar. Dies schafft die ideale Voraussetzung, um später als Lehrkraft in der Lage zu sein, auf jedes einzelne Kind zu schauen. Die Supervisionen fördern diese individuelle Auseinandersetzung und Betrachtung.

Mehr zum Programm WEICHENSTELLUNG für Viertklässler in Hamburg.
Mehr zur Initiative und wie WEICHENSTELLUNG funktioniert.

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